Der Volltreffer

Panisch blickte ich zu Anja und tatsächlich -- ihre Leggins war über und über mit meinen Säften bespritzt.

Die Welt drehte sich. Ich wollte nur noch weg!!! Aus der Ferne hörte ich die Stimme von Sven ...

„Hey Leute, der hat schlechtes Gras geraucht und hat gerade einen Monstertrip -- Keine Panik ... Kai ist harmlos ..."

„Mag schon sein", hörte man den dunklen Bass von Gunther, dem Türsteher. Die Musik war plötzlich aus und alle in der Disko schienen nur auf mich zu starren

Ich spürte die riesige Pranke von Gunther locker, fast schon beschützend auf meiner Schulter ruhen.

„Das war wohl ein Volltreffer!!!"

Ein Kommentar, so kurz, trocken, präzise, wie Gunthers Naturell!!!

„Ich glaube Kai, es ist jetzt an der Zeit zu gehen ... und so wie Du jetzt gerade aussiehst, scheint Dir das jetzt auch gar nicht so unwillkommen zu sein ..."

Nachgesang :

Die nächsten Wochen und Monate waren in Aalen und in der Schule ein einziges Spießrutenlaufen.

Es war Horror.

Jeder wusste es, einschließlich meiner Eltern. Unsere Klassenlehrerin nahm mich mit dem Rektor ins Gebet, wie man sich jetzt wohl am besten aus dieser Situation herausmanövrieren könnte? Ein Schul- oder Ortswechsel wurde vorgeschlagen ... Aber viele meiner Freunde und noch mehr Mitschüler sprachen sich dagegen aus. Und meine Eltern sagten : „Weglaufen hilft nicht. Du hast Mist gebaut und musst jetzt lernen, ihn auch auszubaden."

Die Polizei wurde an die Schule eingeladen -- Drogenaufklärung und Prävention ...

Und Anja? Obwohl sie eigentlich allen Grund dazu gehabt hätte machte sie keine große Szene draus. Sie ging nicht weiter auf den Vorfall ein, lästerte nicht hinter meinem Rücken. Sie nickte mir zur Begrüßung immer kurz neutral zu, ging mir aber ansonsten aus dem Weg. Ich versuchte sie zwei, drei Mal in ein Gespräch zu verwickeln, um mich zu entschuldigen. Denn mir war klar, dass nicht nur ich ein Spießrutenlaufen zu absolvieren hatte. Wie schlimm für sie musste es hinter der Maske ihrer Fassung wohl wirklich gerade in ihr aussehen?

Aber sie ging nicht darauf ein. Und das belastete mich.

Drei Wochen später, es war gerade große Pause und wir standen zusammen ... Wir, das waren Sven, Markus, Wolf und meine Wenigkeit ... und Sven schlug vor, mal wieder was zu unternehmen -- Billard, aber um Himmels Willen erst mal keine Disko.

Ich konnte noch zaghaft darüber lachen, aber ich wusste, von wem es kommt und eben auch wie es gemeint war.

„Ich fahre!!! Denn von Alk und Rauchwerk lass ich jetzt erst mal die Finger" -- eine klare Ansage von mir (ich habe übrigens nie wieder „geraucht")

Da drang von einer größeren Gruppe von Parallelklässerlern die wohl Xste Version jenes schicksalhaften Abends zu uns herüber... Die lachten und spotteten, sich wohl bewusst, dass wir, oder vielmehr ich, alles mithören konnten ... In meinem Magen breitete sich das typische Kloßgefühl aus und wo eben noch Vorfreude auf den kommenden Abend war ... Ich sackte wohl regelrecht in mir zusammen und mein Selbstbewusstsein war quasi nicht mehr vorhanden.

Meine Kumpels blickten genervt zu der Gruppe und Sven, der schon auf dem Sprung war, ihnen ins Gewissen zu reden, hielt plötzlich inne.

Anja kam von der anderen Seite, sich von ihren Freundinnen lösend, zielgerichtet mit schnellen Schritten auf die Gruppe zu.

„Na, wieder mal hemmungslos über Kai am Ablästern??? Die Geschichte ist passiert ... Aber Leute, irgendwann ist auch mal gut!!! Und jetzt wechselt am Besten mal langsam wieder das Thema und geht zum Tagesgeschehen über."

Es war schlagartig ruhig, nicht nur wir waren erstaunt. Danach schlenderte Anja zu uns hin ...

„Hei. Und wieder ist es ein Freitag ... Heute ist im Lokschuppen NDW Party. Ich hoffe -- und das meine ich wirklich so -- ihr seid heute Abend wieder dabei. Ich werde mit meinen Freundinnen jedenfalls da sein und auch ihr solltet Flagge zeigen und tanzen. Nur dann haben wir hier bald wieder Ruhe und etwas Normalität."

Wir waren baff und sahen uns etwas ungläubig an. Mir war die Situation zunehmend peinlich und ich rechnete insgeheim mit der längst überfälligen (und seitens Anja auch vollauf berechtigten) Retourkutsche. Sven fing sich (wie immer) als Erster ...

„Hei Anja, ich weiß nicht, ob das so eine tolle Idee ist. Erstens werden wir wohl nach dem Trubel nicht wieder reingelassen und zum Zweiten -- sie Dir Kai mal an. Ein Häufchen Elend -- Sorry, Kai -- aber die Leute werden reden, auf ihn zeigen und ihn zu Tode starren ... Das wird für ihn der Horror und ich glaube ehrlich gesagt, dürfte das auch für Dich nicht so ganz einfach werden ..."

„Sven, mach Dir um das Reinkommen mal keinen Kopf. Ich war schon letzte Woche da und klar haben mich die Türsteher auch direkt auf den Freitag angesprochen. Ihr werdet reinkommen! Und Kai, da musst Du jetzt halt durch ... Aber tu mir bitte zwei Gefallen -- nix einwerfen und ... lass ihn dieses Mal bitte stecken ..."

Ein schelmisches Grinsen umspielte ihren Mund, ihre Augen funkelten erheitert und Wolf brach direkt in ein prustendes Gelächter aus, das ziemlich ansteckend wirkte. Sogar ich musste ein wenig lächeln.

„Leute, kommt einfach. Vielleicht wird der Abend schwierig, vielleicht auch nicht. Aber wenn wir -- und sie nickte mir zu -- miteinander ungezwungen tanzen und vielleicht alle miteinander etwas Spaß haben und versuchen die Anderen ein wenig auszublenden ... Dann wird das schon. Bis heute Abend Jungs!"

Sprach sie und ließ uns stehen.

Der Abend startete zwar jetzt nicht so wirklich toll -- etwas Spießrutenlaufen und süffisant, ironische Kommentare, Untertöne oder Blicke gab es „en masse" ... Aber es gab auch Lichtblicke.

Anja und ihre Freundinnen hatten auf uns gewartet und begrüßten uns. Sie war mit ihren knapp 2 Metern ja nicht zu übersehen.

Mir mehr als schmerzlich bewusst, sah Anja mal wirklich wieder umwerfend aus. Sie trug eine tiefschwarze Jeans und eine schwarze Bluse an, was ihr langes glattes schwarzes Haar betonte.

Sie umarmte, wir waren erneut überrascht, erst Marcus, dann Wolf, dann mich und zuletzt Sven, was sie bei uns allen vorher noch nie getan hatte. Mir stieg direkt ihr Parfüm in die Nase Polo Sport No. 4 Ralf Laureen wie ich später einmal in Erfahrung brachte (toller blumig, leichter Geruch, der noch lange nachhallte) ... Und es war eine wirklich offene und doch intensive, kurze Umarmung.

Wahrscheinlich eher als Zeichen für die Beobachter gedacht, wirkte die Umarmung auf mich irgendwie beruhigend. Ich spürte, sie war nicht böse auf mich, oder nachtragend und sie meinte es ehrlich und unverkrampft.

Wir saßen zusammen an einem der etwas Abseits in Nischen eingebetteten Tische, tranken etwas, tanzten. So gesehen ein erfolgreicher Abend ...

Aber dem Abend schlossen sich andere an und bald wurde aus mir und Anja ein Paar; der „Volltreffer" wurde dann zum wirklichen Volltreffer ... Und was dann so sexuell alles passierte ... da kam der hier geschilderte „Monstertrip" nicht annähernd ran ... aber das ist eine andere Geschichte die noch erzählt werden will ... (Und Gewächshäuser spielen darin auch eine nicht unwesentliche Rolle)

Und Harim?

Am Donnerstag vor jenem berühmten Freitag musste Harim kurzfristig zurück in den Irak reisen. Sein Onkel hatte wohl einen Herzinfarkt und er führte an seiner statt die Geschäfte (eine kleine Textilfabirik) weiter. An jenem Freitag war er gar nicht in der Disko -- Flesh for fantasy!

Eine letzte kleine Bitte ... Probiert diese Art von Anmachversuchen bitte niemals aus. Die Wahrscheinlichkeit so einen Volltreffer bei der Angebeteten zu landen ist deutlich geringer, als einen von der Security oder Umstehenden zu erhalten ;-)))